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Alex Crevar sulla Ciclovia dei Parchi

Mit dem Rad durch das bunte Herz Kalabriens

Angelika Hinteregger e Reinhard Maxbauer 

Tag 1: Von Lago Cecita nach Sila piccola
Früh morgens öffnen wir die Türe unserer Unterkunft. Sonnenstrahlen treffen auf unser Gesicht, lautes Hupen ertönt von den Straßen und die Menschen sind bereits energischen Schrittes unterwegs. „Ciao Angelika e Reinhard!“, ruft uns Francesco entgegen und strahlt uns an. Wir sind in Kalabrien angekommen, also an der Südspitze Italiens! Die nächsten fünf Tage wollen wir einem Teil des „Ciclovia Parchi Calabria“ folgen, dessen Name sich etwa in „der Radweg der Kalabrischen Parke“ übersetzen lässt. Der Weg führt über den kalabrischen Apennin und durch vier Natur- und Nationalparks und weil wir beide noch nie in Kalabrien waren, klingt das nach einem maßgeschneiderten Abenteuer für uns! 
Der Himmel ist strahlend blau, die Temperaturen liegen Mitte November bei angenehmen 16 Grad und die Landschaft erstrahlt in allen erdenklichen Herbstfarben. Die ersten Kilometer rollen wir ohne Anstrengung am See entlang, bis wir links auf einen Feldweg abbiegen. Aufgrund der heftigen Regenfälle der letzten Woche wird der Schotterweg bald zur Schlamm-Piste und wir versuchen mit akrobatischen Bewegungen, irgendwie doch nicht in die nächste Pfütze zu rutschen. Mit Erfolg! Der Weg wird steiler und wir müssen das Rad immer wieder schieben. Hatte Francesco nicht gesagt, hier es gäbe keine steilen Wege? Wir genießen die kleine Challenge und kommen vorbei an Weiden und Feldern, an Kartoffelbauern, die gerade ihre Herbsternte von den Feldern einholen und radeln entlang von kleinen Bächen und idyllischen Wiesen. Immer wieder bekommen wir einen Blick auf die umliegenden Hügel, die dank der verfärbten Blätter in vielen Rottönen leuchten. Ein kleines Naturspektakel mitten im Sila Nationalpark! 
Zurück auf Asphalt gibt es immer mehr „Ciclovia Parchi“ Hinweisschilder und dank der durchwegs sanften Steigungen sollte Francesco doch noch Recht behalten.

Wir erreichen den höchsten Pass der Tour und genießen die traumhafte Abfahrt zum Lago Arvo. Von nun an geht es immer leicht bergauf und bergab weiter, durch orange glühende Wälder und vorbei an saftig grünen Pinien, bis wir den Lago Ampollino erreichen. In der Nebensaison ist hier absolute Stille und wir haben den Radweg entlang des Stausees ganz für uns alleine.
Auf den letzten 20 Kilometern wird es bereits dunkel und wir fahren im Lichtschein unserer Fahrradlampen durch die dünn besiedelte Gegend bis zu unserer Unterkunft. Das italienische Abendessen mit lokalen Steinpilzen ist der krönende Abschluss des ersten Tages!

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Tag 2: Von Sila piccola nach Tiriolo
Während wir gestern vorwiegend durch Wälder und unbewohntes Gebiet radelten, bekommen wir heute die berühmten Bergdörfer Kalabriens zu sehen! Die bunten Häuser reihen sich dicht an dicht an den steilen Berghängen und in den kleinen engen Gassen spürt man den charmanten Flair Kalabriens. Was für ein Genuss für das Auge!
Ein Blick auf die heutige Route verrät bereits, welch grandiose Straßenführung uns heute erwarten wird. Unzählige Kurven schlängeln sich durch die südliche Berglandschaft des Sila Nationalparks. Die Straße könnte imposanter nicht sein und gleichzeitig vermittelt sie dank des geringen Verkehrs und des herrlichen Walddufts ein Gefühl, das heimeliger nicht sein könnte. Jeder Meter dieser Straße macht Spaß, egal ob bergauf oder bergab. Die Steigungen sind sanft, die Ausblicke nach jeder Kurve besonders und die Natur das reinste Kunstwerk. Wir kommen kaum vorwärts, weil wir ständig die Bremsen ziehen, stehen bleiben und einfach nur staunen. Dabei geht es gefühlt den ganzen Tag nur bergab und die wenigen Höhenmeter verteilen sich unbemerkt über die Kilometer hinweg. So macht Fahrrad fahren Spaß.
Zum Sonnenuntergang erreichen wir Tiriolo. Die kleine Stadt, die sich so wie ihre Nachbardörfer über einen Hügel erstreckt, ist vielleicht die schönste Stadt entlang dieser Etappe. Möglicherweise wird dieser Eindruck aber auch durch die unfassbare Gastfreundschaft verstärkt, die uns im Hotel Residence Due Mari entgegen gebracht wird. Kaum sind wir angekommen, werden wir schon in ein Ape, also ein italienisches Tuktuk, gesetzt und einmal quer durch die engen Gassen Tiriolos gefahren. Was für ein Erlebnis! Anschließend bekommen wir unter anderem beste Kalabrische Steinpilze in allen Variationen serviert, bis sich die Tische biegen und unsere Bäuche zu platzen drohen. Natürlich von ausgezeichnetem Kalabrischen Rotwein begleitet. Dieser Tag und dieser Abend versinnbildlichen das, was wir uns unter „Dolce Vita“ vorstellen!

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Tag 3: Von Tiriolo nach Serra San Bruno
Zum Abschied gibt uns Antonio, der uns in seinem tollen Hotel so liebevoll beherbergt hat, noch einen „Ciclovia Parchi Calabria“ Button mit, den wir auf unsere Fahrradtaschen heften können. Wie gerne wären wir noch eine Nacht in Tiriolo bei Antonio geblieben, aber wir müssen weiter! Denn heute steht uns mit 80 Kilometern und 1.700 Höhenmetern eine lange Etappe bevor. Heute ist es extrem windig. Von Tiriolo rollen wir über herrliche Serpentinen den Berg hinunter und genießen eine Fernsicht bis zum Tyrrhenischen und zum Ionischen Meer. Gäbe es gerade keine Wolken am Himmel, könnten wir sogar Sizilien und den Stromboli am Horizont entdecken! Am Weg Richtung Caraffa frischt der Gegenwind so richtig auf. Links von uns scheint die Sonne, während die Wolken auf der rechten Seite immer dunkler werden. Die Olivenhaine um uns strahlen saftig grün und die letzten Oliven warten darauf, geerntet zu werden. Das schnellwechselnde Wetter bringt einen herrlichen Regenbogen hervor! Schaut euch die Fotos an!
Die Wolken sollen für diesen Tag unsere treuen Begleiter bleiben. Je weiter wir Richtung Monte Covello, den höchsten Punkt des Tages, hinauf kurbeln, desto mystischer wird die Stimmung. Die Wipfel der hohen Eichen biegen sich in alle Richtungen, der Wind pfeift durch die Wälder und der Nebel hängt so tief, dass er beinahe die Straße berührt. Kein Auto, kein Radfahrer, kein Spaziergänger an einem im Sommer sehr beliebten Ausflugsort. Nur wir, umgeben von der spätherbstlichen Stimmung mitten in den kalabrischen Bergen. Einfach wunderbar!
Vom Pass geht es hinunter in das nächste Dorf San Vito sullo Ionio. Weil meine Kräfte über den Tag hinweg immer weniger werden und ich die sich anbahnende Erkältung nicht mehr länger ignorieren kann, fährt Reini die letzten 20 Kilometer nach Serra San Bruno alleine im Dunklen weiter. Ich werde von zwei hilfsbereiten Männern das letzte Stück mit dem Auto gefahren und komme dank ihnen in den Genuss der lockeren und gleichzeitig beschwingten Mentalität der Süditaliener, die uns Zentraleuropäer so imponiert.
Serra San Bruno ist ein beschauliches Städtchen mit vielen engen Gassen, historischen Kirchen und kleinen authentischen Restaurants, direkt am Eingang des Naturschutzgebietes der Serre. Kurz gesagt: Ein Ort zum Wohlfühlen!

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Tag 4: Von Sarra San Bruno nach Rifugio Il Boschetto (Zomaro)
Angi hat in der Nacht Fieber bekommen und wir beschließen, dass ich alleine weiter fahren werde. Schlechtes Timing, aber wir versuchen das Beste aus der Situation zu machen! Nachdem ich sie mit allem versorgt habe, was sie die nächsten Tage braucht, um schnell wieder gesund werden zu können, starte ich relativ spät in die heutige Etappe.
Der Weg führt mich über schöne Serpentinen hinauf in einen Wald und mitten rein in das Naturschutzgebiet der Serre. An den Straßen des kleinen Dorfes Mongiana gibt es geschäftige Cafes und Restaurants, deren Verführung ich nur schwer widerstehen kann. Jedes noch so kleine Cafe hat eine verlockend gute Kaffeemaschine und der Duft steigt mir in die Nase. Doch diesmal muss ich weiterfahren und fülle meine Flasche beim nächsten Trinkwasserbrunnen auf. Hier gibt es wirklich überall glasklares Bergwasser, wobei ich in diesem Moment einen italienischen Espresso durchaus bevorzugen würde.
Von nun an fahre ich vorbei an saftig grünen Pinienbäumen und orange leuchtenden Laubbäumen. Es dauert fast zwei Stunden, bis sich der Wald wieder etwas lichtet, doch in dem Moment muss ich vor lauter Staunen erst mal stehen bleiben. Hier sehe ich doch tatsächlich zum ersten Mal die Insel Stromboli mit dem gleichnamigen Vulkan! Was für ein Anblick!
Für kurze Zeit fahre ich durch eine Region, die vor allem von Landwirtschaft geprägt ist. Kühe, Ziegen und Schafe beleben die Straßen, Hirten ziehen mit ihren Herden über die Wiesen und ihre Hirtenhunde helfen ihnen dabei, auf ihre Schäfchen aufzupassen. Ich muss dabei besonders achtsam sein, denn die großen, weißen Hirtenhunde nehmen mich immer wieder als Bedrohung wahr. Sobald es ein Hund auf mich abgesehen hat, bleibe ich ruckartig stehen und stelle mein Fahrrad zwischen uns. So hat noch jeder Hund von mir abgelassen.
Die Sonne geht langsam unter und die heute ohnehin niedrigen Temperaturen fallen weiter auf +2 Grad. In den Wäldern beobachte ich, wie hier unentwegt Pilze gesammelt werden. Kurz vor Sonnenuntergang komme ich beim Rifugio Il Boschetto an. Nicolai, der Vermieter dieses kleinen Steinhäuschens, das mitten im Wald steht, hat bereits für mich gekocht und das Feuer im Kamin entfacht, um etwas Gemütlichkeit in die kalten Wände zu bringen. Wir sitzen den ganzen Abend zusammen und plaudern über Gott und die Welt. Ich erfahre so viel über das Leben in Kalabrien und darf schon wieder Zeuge der besonderen Gastfreundschaft dieser Region werden. Was für ein intensiv schöner Tag!

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Tag 5 Von Rifugio Il Boschetto nach Reggio Calabria
Der letzte Tag auf dem Ciclovia Parchi bricht an und ich wünschte mir, ich könnte meine Zeit hier noch etwas verlängern. Kalabrien scheint so viele Facetten, Ecken und Dörfer zu haben, die ich am liebsten alle mit dem Fahrrad erkunden möchte. Zum Glück verspricht die heutige Etappe, noch einmal den gesamten Facettenreichtum der Region auf einer Tour erlebbar zu machen. Also, los geht´s!
Um vom Rifugio wieder auf die Straße zu kommen, muss ich mein Fahrrad über einen etwas holprigen Waldweg steil hinaufschieben. Zurück am Asphalt befinde ich mich, wie schon die letzten Tage, in einem bunt leuchtenden Wald. Seit gestern Abend führt mich die Route durch den Nationalpark Aspromonte, den südlichsten Nationalpark Kalabriens und damit den letzten des Ciclovia Parchi. Im Nationalpark soll es neben Wölfen auch Landschildkröten und kleine Baumschläfer geben. Die seltenen Tiere halten sich vor mir leider gut versteckt, ganz im Gegensatz zu den Ziegen und Kühen. Sie spazieren vergnügt über die Straßen und würdigen mich keines Blickes. Ihre sonst eher aufmerksamen Herdenhunde tun es ihnen zum Glück gleich!
Zwei Stunden bin ich nun schon am Rücken des Aspromonte Nationalparks unterwegs, bis sich plötzlich die Sicht nach vorne öffnet. Heute sehe ich den Vulkan Stromboli, der einsam aus dem Tyrrhenischen Meer hervorragt, ganz deutlich und es sieht so aus, als würde er gerade eine kleine Rauchwolke aus dem Krater spucken!
Von nun an beginnt sich die Straße wieder in alle Richtungen zu schlängeln. Die Serpentinen dieser kleinen Straße sind vom bunten Herbstlaub bedeckt, der Asphalt weist eine kreative Bandbreite an Qualitäten auf und ich begegne für einige Zeit keinem einzigen Auto. Als ich dann am Horizont den Ätna auf Sizilien erspähen kann, ist der Moment perfekt. Ja – schon fast kitschig. Ich bin zur richtigen Zeit am richtigen Ort und das fühlt sich enorm gut an.
Ich starte in den letzten Anstieg der gesamten Tour, ehe die finale Abfahrt mit 1.300 Höhenmetern auf mich wartet. Bevor ich die Reifen ins Rollen bringe, blicke ich ein letztes Mal von oben auf Sizilien und das Meer. Die Sonne steht bereits tief, die letzten Sonnenstrahlen tauchen meine Umgebung in tief leuchtende Orangetöne und ehe die Sonne hinter Sizilien untergeht, rolle ich Richtung Reggio Calabria. Die gesamte Abfahrt ist ein einziger Traum. Kurve um Kurve wird es wärmer, die Vegetation beginnt sich zu verändern und als ich fast auf Meereshöhe bin, leuchten mir die ersten Bananenbäume entgegen. Der Kontrast zu den höheren Lagen des kalabrischen Apennins könnte nicht größer sein. Ich rolle noch vor der Finsternis in Reggio Calabria ein und setze mich an den Strand, um den Wellen zu lauschen. Das waren wirklich wunderbare und intensive fünf Tage in Kalabrien.

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Angelika Hinteregger und Reinhard Maxbauer sind Content Creators von Komoot und Autoren von Saddlestories.at, der Webplattform, die Radbegeisterten Reise-Inspiration und praktische Tipps bietet.

Geschichte veröffentlicht auf Komoot.com und Saddlestories.at [November 2023].

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